Category: allerort
Staub, der das Licht reflektiert
Aus Gold und Gewalt sind wir alle
Wenn wir heute den Himmel betrachten und kleine oder große Löcher hineingucken, mal bunt, mal leer, auch schwarz, dann ist dieser Blick zu gleichen Teilen der Nichtblick, den wir hatten, als wir in Räumen eingesperrt, in Zeiten mit verbundenen Augen, in Wäldern bei Nacht; allein waren, trotz und wegen der Menschen dort, verlassen, entblößt, gequält. Absichtsvoll. Von der Welt. Aus der Welt. Es sollte eine Welt ohne Himmel sein, ohne Luft, ohne Farben, ohne Mitgefühl. Und auch wenn es nicht gelang, uns eng, erstickt und grau werden zu lassen, ist in unseren Blicken der Weg, den wir von dort zurückgelegt haben, der lebenslange Weg dort heraus. Das gefolterte Selbst ist nie wieder ungefoltert, wir sind aus Gewalt erstanden und Gold, das kein Mensch nehmen, pressen oder verkaufen kann. Es mag lange nur ein Schimmer gewesen sein, eine Hoffnung, dass da etwas sein könnte, das größer und goldener ist als wir selbst und das leuchten kann in und aus der Tiefe, die Menschen gegraben hatten in die Welt und uns, um es auf- oder auszufüllen mit sich und ihrer Macht, ihrem Sein. Aber das wahre Wesen ist ebenso lebendig und wahr wie der Schmerz, wenn wir erkennen. Es leuchtet, nach und von und innen und aussen. Gold scheint leicht und Leid schwer. Dabei sind sie einfach. Da ist kein anderer. Es ist unserer und nicht unserer, es ist der Schmerz der Welt und eurer und weil es kein uns und euch gibt, ist es gemeinsamer Schmerz. Wenn wir uns oder ihr euch zu einem euch und nicht uns machen, bleibt es unser Schmerz. Verbundenes Leid. Bei uns blutet es dann manchmal durch die Narben, bei euch juckt es kurz und wenn ihr dann nicht hochseht, sondern gedankenverloren über euren Arm wischt, wundert ihr euch vielleicht, dass wir weinen.
Und Glitzer, Glitzer ist auch nur Staub, der das Licht reflektiert
Toter Glitzer
Zwei Tage nach dem heftigsten Traum, den ich seit Monaten gehabt habe, ist das Aufregendste die neue Sojasauce mit Hot Chili Lemon Flavor.
Ich hatte geträumt, ich war mit einer Person, der eigentlich ich war, draussen, stand irgendwo entspannt rum, ich glaub, wir unterhielten uns gerade, als ein brennendes, wahnsinnig schnelles Geschoss auf mich zuraste, eine sirrende Kugel, nicht linear, sondern wie programmiert auf bewegliche Ziele, fast als hätte sie ein Auge, rot brennend, meinem Ausweichen magnetisch folgend, um mich zu töten; das erste Mal ging sie knapp daneben, aber ich wusste und sagte es laut in den Raum: Ich sterbe.
Eine Ausweglosigkeit und Absurdität von Zeit, zugleich lupenartig und gerafft, über sich selbst hinwegdeutend auf die nahe Zukunft, die einen oder zwei tote Körper am Boden liegen sah. Beruhigend, auf jeden Fall nicht entkommen zu können, beängstigend, jetzt doch noch erwischt worden zu sein.
Catch me while I’m still living.
Und Staub, ja, Staub ist doch auch nur toter Glitzer.
Struk·tu·ren
Und immer die Lücke. Der Spalt, der zum Raum wird, der die Möglichkeit birgt, sich zu entscheiden. Anders zu entscheiden. Ist das eine Frage?
halber mensch
wenn ich nicht schreibe
ist es als sei keine zeit vergangen
ich hätte nicht stattgefunden
genauso wenig wie sie
wenn niemand las
was ich schreiben werde
9to5
nachrufen
wir lieben wir verlieren
wir halten wir vergessen
wir hören die stille
und leben mit denen
die nicht da sind
wir schwimmen wir sind meer
wir atmen wir sind luft
wir laufen weil wir flüchtig sind
und leben fort
weit fort
wir fallen wir fliegen
wir lieben wir vertrauen
wir halten trauer wenn sie fremd gehen
wir lassen uns leben
und frei
wir wachen wir sind tag
wir erneuern wir sind neu
wir sind weil wir sein können
und geben
uns selbst
Ins Sein gefallen
Ich habe sie gefunden, die grüne Tara der Insel, die mallorquinische Tara vom Port de Sóller. Sie ist blau.
Sie ist im grünblauen Meer, in der weißen Gischt und dem türkisen Schimmer, sie ist die Sicht auf den Grund durch schimmernde Tiefe.
Sie ist in der Wucht des Wassers auf die goldgrauen Felsen und in den von Wellen hineingespülten Mulden und Löchern.
Sie ist das Meer selbst und sie ist ich schwimmend und Meer werdend. Sie wellt und welt.
Sie ist in der Santa Capelleta und die fliegende Maria skulpturiert davor, sie ist der Plastikventilator rechts und links vom Altar, sie ist der Stein auf dem Stein der Trockenmauer.
Sie ist der sich reckende Olivenbaumstamm, der Wunderbaum, der einen einzelnen Ast grün emporstreckt, gleichsam im Begriff, sich niederzuwerfen, mit über den Scheitel gehobenen Händen.
Sie wartet in der sengenden Hitze in der Felsmuschel auf uns
hoch oben auf der Klippe, wo die Fischerboote auf dem Meer ebenso klein sind wie die Häuser von Deià.
Sie stapelt Steine in gestorbene kleine Bäume
und Felsen in das unfassbar lebendige Meer
Sie singt bei gefallenen Aleppokiefern
und fotografiert den Schein im Auge der Betrachter*in
für die Bodhicitta-Nonne
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Der Flug, ich fliege
in einem anderen Land
Dort bin ich jemand
der sich ähnlich sieht
Wie kann es sein
dass ich hier bin
lebendig auf der Insel
im Meer
Der erste Flug
Stufenwege in Langsamkeit
Bloß Sein
bloßes Sein
Keine Karten
weglos ichlos
Türmchen Steine
planlos Vertrauen
Zuhause ankommen
immer noch bloß
ich habe eine riesige Wohnung
Sojayoghurt schmeckt eigentlich gar nicht
aber wie hübsch es hier ist
wie eingerichtet
und Sein
kann ich überall
Utopia
Kinderwunsch
Du hast Geburtstag ich habe wieder
keinen Kuchen gebacken
Früher konnte ich nicht, keine Küche in Kellern und Krieg
heute könnte und kann ich nicht
obwohl ich aufgestiegen bin von Keller zu Küche
doch die Durchreiche, sie funktioniert nicht
aber sagen wollte ich auch mit einem Kuchen nur
mögest Du glücklich sein und frei